Wissenswertes über: Karl Klammer von Microsoft — oder die unbeliebteste Erklärfigur der Welt!?

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Karl (die) Klammer oder Clippit bzw. Clippy wie er im englischen genannt wurde, war zwar genau genommen keine Strichfigur oder kein Strichmännchen, jedoch eine der bekanntesten und ersten digitalen Erklärfiguren auf Computermonitoren, entwickelt und eingesetzt von Microsoft Inc. für dessen Office Anwendungen.
Das erste Erscheinen seiner Person auf der Bildfläche, war zu einer Zeit, als der Personal Computer, damals übrigens mit Diskettenlaufwerk ausgestattet, noch nicht alle Wohnzimmer und Büros erobert hat und viele Menschen von Software und Textverarbeitungsprogrammen nicht die leiseste Ahnung hatten.

Um eine mögliche aufkeimende Furcht und Angst vor diesen unübersichtlichen mit einer Funktionsvielfalt gesegneten Office-Welt zu verhindern, war Microsoft dabei den Nutzer an die Hand zu nehmen und ihm Mithilfe eines überaus getreuen Gefährten durch dieses Abenteuer zu geleiten und Licht in die dunkle Welt der digitalen Neuschöpfung zu bringen. Und am allerbesten, so dachte man sich in der Software-Schmiede, gelingt das mit einer Büroklammer mit aufgeklebten Wackelaugen und Augenbrauen. Dieser Begleiter stand in Microsoft Office für Windows (Versionen 97 bis 2003), Microsoft Publisher (Versionen 98 bis 2003) und Microsoft Office für Mac (Versionen 98 bis 2004) zur Verfügung. Der vermeintliche Helfer war bereits in den Voreinstellungen aktiviert, konnte jedoch erst in späteren Versionen in den Einstellungen manuell deaktiviert werden. 

Interessanterweise war Karl Klammer nicht der einzige Assistent, dessen Hilfe man in Anspruch nehmen konnte. So gab es weitere Figuren, die ihn ersetzen konnten, um ihn auf die Ersatzbank zu befördern. Es gab den Zauberer Merlin, die Katze Links, den Roboter F1, den Flaschengeist Genie, einen älteren Wissenschaftler namens Genius, den Affen Bonzi, den Vogel Peedy sowie die Hunde Rover und Rocky.
Jede der aufgezählten Figuren hatte ihre eigenen Bewegungsabläufe und Animationen, die ermöglicht wurden durch die Technologie von Microsoft Agent. Am Ende jedoch erlangte nur die kleine Büroklammer weltweite Aufmerksamkeit und Berühmtheit.
Geboren wurde die Idee mit Clippy und seinen Freunden, durch eine Idee von Melinda Gates, die Frau von Bill Gates, die zu der Zeit auch eine Mitarbeiterin bei Microsoft war. Gestaltet wurde diese digitale Figur mit seinem drahtigen Aussehen von Kevan J. Atteberry.

Betrachtet man diese Helferlein in Kombination mit jenen Software-Anwendungen im Zusammenspiel aus heutiger Sicht, so kann man behaupten, dass diese Erklärfiguren, mitunter die Vorgänger der künstlichen Intelligenz im Bereich der Computeranwendung waren. Sie konnten auf bestimmte Wörter und Sätze reagieren, wobei man zwei Arten von Ihnen unterschied: Der passive Agent tritt erst dann in Erscheinung, wenn er gefragt wird.
Der proaktive versucht Muster zu erkennen und aktiv seine Hilfe beizusteuern. Ein Beispiel für diesen proaktiven Helfer ist die heute überall etablierte automatische Rechtschreibkorrektur, die Rechtschreibfehler rot unterstreicht. Oder als weiteres Beispiel damals unser Karl ...

Saß man nun vor dem geöffneten Programm von Microsoft Word und schrieb etwas auf das weiße digitale Blatt Papier voller Vorfreude auf das neue Schreibprojekt, das einen erwartete, ploppte er dann urplötzlich auf, der kleine Freund der Überraschung. Augenscheinlich ausgelöst durch ein geschriebenes Wort oder einen Satz, kam er unvorhergesehen aus seinem Versteck, obwohl man weder im Begriff war ihn zu suchen, geschweige denn seine Dienste in Anspruch zu nehmen.

Da Clippy an sich nicht reden konnte, wie wir das von den heutigen Sprachassistenten kennen, wie Siri oder Alexa, wurde er von seiner Sprechblase begleitet, die als Kommunikationsmedium zwischen ihm und dem Nutzer diente.
„Anscheinend möchten Sie einen Brief schreiben. Brauchen Sie Hilfe?“, stand oftmals dann in der gelben Sprechblase geschrieben.
Einer der Trigger, der diese Frage veranlasste war zum Beispiel die geschriebene Anrede. Wollte man seine Hilfe in Anspruch nehmen, so bot einem als Reaktion darauf unteranderem eine Multiple-Choice-Antwort, die darin gipfelte als Resultat ein vorgefertigtes Standard Briefmuster zu bekommen, vorausgesetzt man wolle tatsächlich einen Brief verfassen, was aber oftmals gar nicht der Fall gewesen ist.
Nun gut, nette Idee. Aber nein, Vielen Dank!
Man könnte meinen, damit wäre die Interaktion zwischen Mensch und digitaler Klammer vom Tisch und könne sich nun aller Seelenruhe weiter seinem Schreib-Projekt widmen. Doch Fehlanzeige. Das war erst der Beginn einer ausufernden „Zusammenarbeit“ mit dem „lieben“ Assistenten Karl.

So unauffällig die kleine Büroklammer zu Beginn daherkam, so neunmalklug trat sie auf und das auch noch ungefragt und ständig.
Karl Klammer hielt sich auch nicht an die hochgehaltenen Regeln des sozialen Umgangs. Wer einem immer wieder bei nur wenig geschriebenen Wörtern die selbe Frage stellte, die man vorher verneinte und einem somit ins geschriebene Wort quatschte, kratzte unmissverständlich an der Toleranzgrenze des Nutzers.

Neben den nervigen Fragen gab es weitere Faktoren für eine steigende Frustration beim Nutzer und zwar sein aufdringliches Verhalten und sein gestikulierendes Erscheinungsbild.
Er bewegte sich, war also animiert und führte des Öfteren skurril wirkende Tänzchen auf, welche zu einer klaren Ablenkung des Nutzers führen konnten, in Anbetracht dessen ständig etwas flimmerndes aus dem Augenwinkel wahrnehmen zu müssen. Käme man auf die großartige Idee ihn schlichtweg zu ignorieren, so verwandelte er sich mir nichts dir nichts, aus Trotz, in ein Fahrrad. Warum? Ja!
Heute würde man vermutlich ein ausgeprägtes Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostizieren.
Was am Ende noch das ganze abrundete war, dass man sich durch die reine Anwesenheit des kleinen Kerlchens mit Kulleraugen, so beobachtet gefühlt hat, dass einem die Konzentration sowieso abhanden kam, weil er einem ja nicht von der Seite wich.

Gestalterisch fehlte ihm außerdem ein Mund, der Mimik und Gefühle ausdrücken konnte, welches die Augen und Augenbrauen eventuell durch gestalterisches Unvermögen, nicht wiedergeben konnten. Seine kühle knochige Gestalt unterstrich das gestalterische Defizit bezüglich einer entstehenden Empathie.
Letztendlich war er zusammenfassend weder visuell, noch auf sozialer Basis verträglich und tatsächlich im Nachhinein auch keine wirkliche Hilfe für den Nutzer, um über die Tücken der neuartigen Funktionen in den Programmen aufgeklärt und geführt zu werden.
Und so erklärt sich, warum während einer anfänglichen Akzeptanz eine sich immer häufiger entwickelnde Antipathie einstellte, ausgedrückt in Fluchtreflexen und Wutausbrüchen seitens des Nutzers.
Bei Microsoft gab man später zu, dass man eventuell mit der Einführung eines immer an der Seite stehenden und redewütigen Begleiters, die Aufmerksamkeit des Benutzers ein wenig überstrapaziert haben könnte. Gerade diese sei eine knappe Ressource, mit der man vorsichtig umgehen müsse.
Nebenbei sei erwähnt, dass Microsoft-Mitarbeiter unter der Hand Clippy als „the fucking clown“ bezeichneten, und somit dem Kleinen intern einen Dolchstoß verpassten, welches ihm im Prinzip den Gnadenstoß verlieh. 

Seit der Version Office XP (Release am 31. Mai 2001) deaktivierte Microsoft die Helfer standardmäßig und bestätigte die Unbeliebtheit, vorallem von Clippy. Da der Assistent weiterhin Kritik auf sich zog, wurde er in der Version Office 2007 (30. Januar 2007) und Office 2008 für Mac (15. Januar 2008) schließlich vollständig entfernt. Vielleicht wäre es nie zu dem Schritt der Verbannung gekommen, hätte man die Frage des Briefe-Schreibens weggelassen, vermutet man, auch wenn andere Faktoren ebenfalls negativ aufgenommen wurden.

Nichtsdestotrotz sind digitale Assistenten durch Karls Scheitern nicht gänzlich verschwunden, sondern lediglich dezenter gestaltet. Dank besserer Algorithmen und der Rechenkraft der Cloud sind Assistenten wie die heutigen Sprachein- und -ausgabe nicht mehr wegzudenken. Ob Alexa oder Siri: Sie stehen dem Nutzer zur Seite und erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Auch werden Figuren sehr gut aufgenommen, um der künstlichen Intelligenz ein Gesicht zu geben oder um komplizierte Sachverhalte leichter bekömmlich zu machen. Am Ende sind die beliebteren Assistenten die passiven Agenten, die auf die Nutzer reagieren und nicht direkt selbstständig ungefragt agieren.

Am Vorteilhaftesten ist eine Symbiose aus Informationen und einem visuellen Bild. Ähnlich wie man heute ganz selbstverständlich Smileys oder Emojis an seine Kurznachrichten schmückt, die in unserer geschriebenen Kommunikation nicht mehr wegzudenken sind. Diese schaffen eine weitere Dimension und einen Raum für einen exakteren Ausdruck, anstatt einen leblos aussehenden Text in schwarz und weiß zu servieren. Mithilfe von Erklärfiguren im Stile von Stichfiguren oder Strichmännchen mit einer ausgewogenen und deutlichen Mimik und Gestik, lassen sich so die komplexesten Sätze und Informationen in einem Bild bzw. in einer Figur runterbrechen und verdeutlichen.

Bestenfalls setzt und verknüpft man Erklärfiguren, Strichfiguren oder Strichmännchen so ein, dass Sie einen Informationsgehalt sprichtwörtlich den roten Teppich ausrollen, damit sich dieser voll und ganz entfalten und vermittelt werden kann und dem Betrachter und Leser einen kleinen visuellen Denkanstoß und Unterstützung gibt, um anschließend vom Informationsgehalt in jeglicher Ausformung unterhalten zu werden.
Oder würde man heute auf den Haribo Goldbären oder die Mainzelmännchen, um nur einige zu nennen, verzichten wollen, die Produkte als sympathische Botschafter repräsentieren?

Karl Klammer feierte im übrigen im Frühjahr 2020 sein Comeback, und zwar als Sticker-Set bzw. Emoticon in Anwendungsbereichen von Microsoft.

Text: Marcel Czeczinski; Illustration: strichfiguren.de